Warum ich keine Digitale Nomadin werde

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„Digitale Nomaden“ – dieser Begriff ist mir 2014 wohl mit am häufigsten als Hype untergekommen, ähnlich wie im Jahr zuvor „Content Marketing“ durchs Dorf getrieben wurde. Mehrere Medien haben dieses Thema aufgegriffen und Digitale Nomaden porträtiert. Wer genau hingesehen hat, hat vielleicht bemerkt, dass es immer die gleichen Personen waren, die als erfolgreiche Digitale Nomaden vorgestellt wurden und deren Lebensstil als erstrebsames Ziel präsentiert wurde.

Es gibt Konferenzen, Workshops und Bücher zu dem Thema. Wenn ich mir Berichte von Konferenzteilnehmern anhöre oder erste Aussteiger-Blogposts lese, kommt es mir so vor, als würden etliche Menschen auf diesen Hype aufspringen und sich von Rattenfängern ins Unglück stürzen lassen. Zu blauäugig scheinen mir einige an dieses Thema heranzugehen und ihr Glück als Digitale Nomaden versuchen zu wollen. Einen der wenigen kritischen Kommentare zu diesem Hype habe ich bei Oliver vom Weltreiseforum gefunden – und der Text ist immerhin schon von 2013.

In erster Linie geht es beim Start ins Digitale Nomadendasein um den Sprung in die Selbständigkeit. Hinzu kommt dann das Aufgeben einer festen Basis – schließlich zeichnen die Digitalen Nomaden aus, dass sie ortsunabhängig arbeiten und ständig durch die Welt reisen. Das klingt natürlich verlockend: frei sein, selbständig arbeiten, die Welt sehen. Dass das aber nicht für jeden klappt, zeigten schon die vielen gescheiterten Ich-AGs zum Start der Hartz IV-Gesetzgebung.

Wer ein Leben als Digitaler Nomade anstrebt, sollte sich daher die gleichen Fragen stellen, wie jeder andere, der sich selbständig machen will – und noch ein paar mehr. Ich habe mir diese Fragen gestellt und für mich beantwortet:

Was ist mein Geschäftsmodell?

Vielleicht die wichtigste Frage: Wie will ich meinen Lebensstil finanzieren? Rumreisen und auf einem Reiseblog darüber berichten, ist ja nur eine Sache. Selbst wenn Bloggerreisen gesponsert werden, gehören zum Leben ja noch andere Ausgaben. Und wenn ich nicht gerade für die Reise selbst einen Tagessatz erhalte, verdiene ich während einer Bloggerreise kein anderes Geld. Daher muss ich mir sehr gut überlegen, woher meine Einnahmen eigentlich kommen. Einige Reiseblogger verkaufen quasi als Nebenprodukte einer Reise anschließend Foto- und Videomaterial an Destinationen oder andere Partner. Auch können Reisereportagen an Medien weiterverkauft werden. Ich selbst generiere bisher einige meiner nebenberuflichen Einnahmen als freie Texterin – dabei nicht zwingend zu Reisethemen. Ein Leben als Digitale Nomadin kann ich mir mit diesen Einnahmen aber nicht finanzieren. Was mich zur nächsten Frage bringt:

Was ist mein USP?

Freie Texter gibt es wie Sand am Meer. Ebenso wie Social Media Berater. Klar kann ich als Reisebloggerin auch Beratung zum Thema Blogger (Influencer) Relations anbieten, oder auch SEO-Kenntnisse vermitteln. Aber das können eben viele andere auch. Ich gebe offen zu, dass ich meinen USP noch nicht gefunden habe. Ich konkurriere mit meinen Fähigkeiten also mit vielen anderen. Und es kann nun einmal nicht mein USP sein, dass ich, nur weil ich frisch am Markt bin, meine Dienstleistungen besonders günstig anbiete. Das unterminiert nicht nur meinen eigenen Wert, sondern macht auch die Preise für alle anderen kaputt.

Habe ich ein ausreichend großes Netzwerk?

Wenn man sich die Lebensläufe der erfolgreichen Digitalen Nomaden ansieht, fällt auf, dass sie schon viel vorher gearbeitet haben bzw. schon lange bei diesem Lebensstil dabei sind. Ich habe einmal Budgettraveller Kash gefragt, wie er so erfolgreich wurde. Und er meinte schlichtweg, er hätte halt früh angefangen. Er hat damit gewissermaßen einen zeitlichen Vorsprung und konnte sich in den vergangenen Jahren ein großes Netzwerk aufbauen, das ihm jetzt bei seinen Projekten hilft. Auch wer vorher viele Jahre unselbständig gearbeitet hat, konnte in seinem Berufsleben viele Kontakte aufbauen, die in der Selbständigkeit nützlich sein können. Ich selbst beobachte ja auch, dass ich einen Großteil meiner Aufträge und Kooperationen durch persönliche Kontakte oder Empfehlungen erhalte. Dass jemand auf mich zukommt, weil er mich einfach so gefunden hat, ist eher die Ausnahme. Ein großes und vor allem gutes Netzwerk ist also nicht zu unterschätzen.

Kann ich mich gut verkaufen?

Wer kein großes Netzwerk hat, wird darauf angewiesen sein, selbst Kunden zu akquirieren – eine Sache, die mir persönlich nicht besonders liegt. Zwar haben sich für mich auch schon wertvolle Kontakte durch Gespräche auf Barcamps und Konferenzen ergeben, aber das war eher ungeplant und wohl auch eher von meiner persönlichen Tagesform abhängig. Ich bewundere Leute, die bei jeder Gelegenheit auf Menschen zugehen, sie zutexten und nach fünf Minuten ihre Visitenkarte weiterreichen. Das mag auf den ersten Blick zwar nervig erscheinen, aber diese Menschen verstehen es, sich binnen kürzester Zeit zu präsentieren und neue Kontakte zu knüpfen. Mir fehlt dazu das gewisse Vertriebler-Gen.

Habe ich die Unterstützung meiner Familie?

Wenn ich mich nicht irre, ist der Großteil der Digitalen Nomaden weitestgehend ungebunden oder zumindest kinderlos. Das macht es einfacher, ohne festen Wohnsitz durchs Leben zu gehen. Ich habe einen Mann, der zwar seinen festen Job liebt, aber durchaus einer Weltumsegelung nicht abgeneigt wäre. Dass er mich in allem unterstützt hat er eindrucksvoll auf unserer Hochzeitsreise bewiesen, als ich auf Twittern und Instagrammen verzichten wollte und er nur meinte, ich sei als Reisebloggerin doch immer im Einsatz. Seine Unterstützung hätte ich also, aber…

Bin ich bereit, meine jetzige Sicherheit aufzugeben?

Ich hatte meine Weltreise schon. Und auch wenn ich es liebe, auch heute noch viel von der Welt zu sehen, liebe ich es doch mehr, zu einer Heimatbasis zurückzukommen und einen Hafen der Ruhe zu haben. Nach einigen eher unsteten Jahren beim Berufseinstieg möchte ich auch ungern auf meine jetzige feste Stelle verzichten. Das mag langweilig oder bequem klingen, aber ich mag schlichtweg die Sicherheit einer festen Wohnung und einer unbefristeten Stelle. Warum sollte ich die aufgeben?

Habe ich einen Plan B, eine Exit-Strategie?

Für mich ist im Grunde schon durch die anderen Fragen geklärt, dass ich keine Digitale Nomadin werde. Aber wer die Fragen oben anders für sich beantwortet hat, sollte auch diese beantworten. Wie steht es mit finanziellen Sicherheiten? Was mache ich, wenn ich am Ende der Welt einen Unfall habe? Wo gehe ich hin, wenn gar nichts mehr läuft? Jeder der das Wagnis eingeht, ein Leben als Digitaler Nomade führen zu wollen, sollte sich auch auf das Scheitern dieses Plans vorbereiten. Dabei sollte Scheitern nicht als etwas Negatives oder als persönliche Niederlage betrachtet werden. Auch aus dem Scheitern eines Plans kann man etwas Lernen und etwas Neues schöpfen.

Wenn ich die aufgeführten Fragen für mich ehrlich beantworte, ist klar, dass ich keine Digitale Nomadin werde. Ich habe zwar durchaus Vertrauen in mein Können, ein gutes Netzwerk und auch die familiäre Unterstützung für alles, was ich tue, aber der ein oder andere Bestandteil zum Nomadendasein fehlt halt doch.

Wer dennoch diesen Weg einschlagen möchte: Ihr habt meinen größten Respekt vor diesem Schritt. Aber bitte rennt nicht wild drauf los und womöglich in euer Unglück. Stellt euch die Fragen, die ich mir gestellt habe und beantwortet sie ehrlich für euch. Und dann bleibt mir nur zu sagen: Viel Erfolg und alles Gute! Und vielleicht treffen wir uns mal auf der einen oder anderen Reise 🙂

Autor: carolinhinz

Ich bin Carolin, Kommunikatorin und Reisebloggerin mit derzeitiger Heimatbasis in Bremen.

8 Kommentare

  1. Gut gebrüllt Löwe. So isses.
    Und wie es uns schon seit Jahren die MLM Gurus und die „How to make money in internet“ Szene zeigen, ist auch hier wieder, ohne das jetzt werten zu wollen, am meisten Geld mit Info-Produkten zum Thema verdient.
    Nur dass sich halt irgendwann die Katze in den Schwanz beißt.

    • Danke Udo,
      ja, auch auf der TBU in Nantes wurde die Kritik geäußert, dass die einzigen, die angesichts der Fülle an Kursen und Konferenzen Geld verdienten doch diejenigen seien, die eben genau diese Kurse und Konferenzen anbieten. Zumal meinem Empfinden nach oft genug verschwiegen wird, wie viel harte Arbeit in einem solchen Leben steckt und wie viel Zeit eben zum Aufbau dieses Lebens benötigt wird. In Konsequenz schwemmen immer mehr (Reise-)Blogger ins Netz, die meinen, bereits nach einem Monat das große Geld verdienen zu können.
      Aber dir muss ich das ja nicht erzählen 🙂
      Gruß, Carolin

  2. Du sprichst mir aus der Seele!
    Ich wäre sogar gerne mal ein Jahr oder so unterwegs… aber dafür müsste ich meinen Job kündigen. Nicht so tragisch? Doch, denn ich bin in der tariflichen Bezahlungsleiter schon ganz oben angekommen. Und ich bin höher eingruppiert als andere mit meinem Job. Auch der Grund, warum ich meinen Arbeitsplatz vorerst nicht wechseln werde, obwohl mir die unregelmäßige Schicht momentan sehr zusetzt. Doch suche ich mir einen anderen Job verdiene ich pro Monat zwischen 700 und 800 Euro weniger. Pro Monat! Die nehm ich lieber mit und investiere in Reisen und Erlebnisse.
    Und meine Freundin und meine Kater und meine Eltern und Geschwister? Würden mir viel zu sehr fehlen!

  3. Endlich mal jemand, der diesem ganzen Hype auf den Zahn fühlt. Jeden Monat starten unzählige neue Reiseblogs, die alle gleich aussehen und ähnliche Themen bieten, weil sie die gleichen Workcamps oder Konferenzen besuchen. Weil Blogs aber auch immer neue Themen verlangen bleibt die Qualität oft auf der Strecke. Deshalb wird es auch immer schwieriger mit diesem Thema Geld zu verdienen, außer für die die früh angefangen haben. Familie und Freunde zu Hause sind etwas tolles und in den Ferien kann man sich auch schöne Reisen leisten, wenn man einen festen Job hat.

  4. Hallo Carolin,

    ich finde Deine Entscheidung absolut nachvollziehbar und stimme Dir und den anderen Kommentatoren zu, dass digitales Nomadentum keineswegs der einzige Weg zum Glück ist. Das wäre ein absurder Gedanke.

    Und es stimmt, es gibt Blogger, die diesen Eindruck erwecken, meist aus der eigenen Euphorie heraus (das ist entschuldbar) und/oder, weil sie ein Produkt zum Thema verkaufen wollen.

    Auch ich war anfangs unglaublich euphorisch und bin nach wie glücklich als DN, und das sieht man meinem Blog auch an. Für viele ist es ein toller Lebensstil, der verdammt glücklich macht. Das ändert sich auch nicht, wenn im Moment vielleicht ein Hype darum existiert. Hypes sind immer Quatsch.

    Vor allem stimme ich Dir auch darin zu, dass Bloggen nicht zwangsläufig der einfachste Weg zu einem guten oder wenigstens ausreichendem Einkommen ist.

    Zwei Dinge möchte ich aber gerne noch loswerden, wo in Deinem Beitrag meines Erachtens ein falscher Eindruck entsteht:

    1. Zu den Kosten: Wer sich ein Leben in Deutschland leisten kann und sein Geld mit einer potentiell ortsunabhängigen Tätigkeit verdient (z.B. Texter, Designer, Programmierer o.ä.), kann sich auch ein Leben als DN leisten. Bei mir war das so. In den meisten Ländern der Welt ist das Leben günstiger als in Deutschland. Zusammen mit höheren Kosten für Flüge etc. kommt dann meist der gleiche Finanzbedarf heraus wie in Deutschland oder sogar weniger.

    2. Zu den Einnahmen: Die meisten DNs leben nicht vom Bloggen. Da man aber halt nur von den bloggenden DNs liest, entsteht der Eindruck, ein DN müsste ein Blogger sein. Das ist natürlich nicht so. Ich denke, dass Freelancing und andere E-Commerce-Modelle am erfolgversprechendsten für DNs sind.

    Es gibt neben dem DN-Dasein viele, viele Wege, die zum Glück führen, und ich finde Deine persönlichen Gründe wie gesagt voll nachvollziehbar. Wichtig ist, dass man sein Ding macht, ob als digitaler Nomade oder anders.

    Viele Grüße
    Patrick

    • Moin Patrick,

      du hast natürlich Recht, man kann sehr günstig im Ausland leben – ich erinnere mich an günstiges Rumreisen in Argentinien oder China.
      Und natürlich ist das Thema DN nicht auf Reiseblogger beschränkt. Aber das ist nun einmal, das Umfeld, in dem ich mich auskenne und die meisten Beispiele kenne. Es freut mich aber immer, auch Eindrücke aus anderen Bereichen zu lesen.

      Viele Grüße, Carolin

  5. Ich bin seit einem halben Jahr eine Digitale Nomadin, und habe anfangs auch gedacht, ich brauche einen Reiseblog. Ist aber nicht so, genauso wenig habe ich ein großes Netzwerk, weil das für mich als introvertierte Persönlichkeit die reinste Horrorvorstellung ist. Trotzdem komme ich gut zurecht und fühle mich wesentlich wohler als letztes Jahr um diese Zeit. Vielleicht bin ich auch keine richtige Digitale Nomadin, weil ich in Europa bleibe, und dieses Jahr zum Beispiel gut 7 Monate in Tschechien verbringen werde. Ich will Sprachen lernen, das ist das, was mich antreibt. Viel Geld verdienen oder die angebliche Sicherheit einer Festanstellung waren nie mein Ding. Es ist eine Frage der Persönlichkeit. Ich war als junges Mädchen schon so ruhelos und bin ständig umgezogen. Jetzt sind meine Kinder erwachsen, und ich bin in gewissserweise wieder die einsame Wölfin – und fühle mich gut dabei 🙂

    • Hallo Daniela,
      es freut mich, dass du dich als Digitale Nomadin wohl fühlst. Wie du schon schreibst – es ist eine Frage der Persönlichkeit. Ich war nach dem Studium sehr unstet und bin jetzt halt froh, etwas mehr Ruhe im Leben zu haben. Außerdem hat bei mir die Familienplanung gerade erst mit dem ersten Kind begonnen – wohin das noch führt, wird sich erst noch zeigen. Wer weiß, vielleicht werde ich ja in einem späteren Leben doch noch eine Digitale Nomadin. Nur für den Moment ist es nicht mein Ding.
      Viele Grüße, Carolin

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